Die Wahl des richtigen Artikels bereitet Deutschlernenden sehr häufig große Schwierigkeiten. Manche Lernende kennen die grammatische Kategorie des Genus bereits aus ihrer Erstsprache (L1) und wissen immerhin etwas mit den Artikeln “der”, “die” und “das” anzufangen, die einen Hinweis auf das Genus des entsprechenden Substantivs geben. Deutliche schwieriger fällt es Lernenden, deren Erstsprache nicht über Genera verfügt, wozu beispielsweise das Türkische und Chinesische gehören. In diesem Beitrag sollen Lernerschwierigkeiten aufgezeigt und begründet sowie ausgehend von diesen Tipps zur Grammatikvermittlung formuliert werden, die das Erlernen der Genera erleichtern.
Das Genus der Substantive
Das Substantiv gehört wie das Verb, das Pronomen, der Artikel und das Adjektiv zu den flektierbaren Wortarten des Deutschen. Seine Form ist veränderbar und richtet sich nach der Position und Funktion innerhalb eines Satzes (syntaktischer Kontext). Substantive werden nach Kasus und Numerus dekliniert und verfügen über ein festes Genus. Wohingegen Numerus und Kasus durch Flexionsendungen oder Umlautung angezeigt werden, wird das Genus am Artikel sichtbar.
Lernerschwierigkeiten
Viele Deutschlernende verzweifeln am Genussystem, da ihnen die Wahl des Artikels zu willkürlich erscheint.
Wohingegen Lernende mit einer slawischen Sprache als L1 (Erstsprache) über ein Genussystem mit den drei Genera Maskulinum, Femininum und Neutrum und Lernende mit einer romanischen Sprache als L1 (das Romanische ist hierbei ausgenommen, da es neben maskulinem und femininem Genus noch ein ambigenes Genus enthält) über ein Genussystem mit den zwei Genera Maskulinum und Femininum verfügen, gibt es auch Sprachen, in denen es kein Genus gibt. Dazu gehören etwa Chinesisch, Japanisch, Koreanisch, Armenisch, Dari, Persisch, Türkisch oder Englisch.
GENUSSYSTEME IM VERGLEICH | ||
Drei Genera | Zwei Genera | kein Genus |
Albanisch Deutsch Griechisch Kroatisch Niederländisch Polnisch Rumänisch Russisch Slowakisch Ukrainisch | Französisch Italienisch Kurdisch Portugiesisch Spanisch | Armänisch Chinesisch Dari Englisch Japanisch Koreanisch Türkisch Ungarisch |
Gerade Lernende, die ein Genussystem nicht bereits aus ihrer Erstsprache kennen, haben häufig Schwierigkeiten beim Genuserwerb.
Was sollten Sie als Lehrende/r beachten?
Als Lehrende/r ist es in diesem Zusammenhang sehr wichtig, dass man die individuellen Erstsprachen der Lernenden berücksichtigt und zunächst das Konzept des Genus und der Genusmarkierung am Artikel entsprechend vermittelt. Darüber hinaus sollte auch diejenigen Lernenden, denen das grammatische Geschlecht aus ihrer L1 bekannt ist, darauf hingewiesen werden, dass man den Artikel am besten zusammen mit dem Nomen lernt.
In den romanischen Sprachen etwa, wie z.B. dem Portugiesischen, gibt es zwei Genera. Im Unterschied zum Deutschen geben die Endungen der Nomen (Nomen mit der Endung -a sind feminin, Nomen mit der Endung -o maskulin) oftmals einen Hinweis auf das Genus. So ist das Nomen a cadeira (“der Stuhl”) im Portugiesischen feminin und o livro (“das Buch”) maskulin. Zwar kennen diese Lernenden das Konzept Genus, dennoch sollte sie auf die Unterschiede der Stellung der Genussysteme innerhalb des jeweiligen Sprachsystems hingewiesen werden.
Anhand unserer Beispiele sehen wir, dass der Stuhl im Portugiesischen feminin ist, wohingegen er im deutschen Sprachsystem maskulin ist. Das Buch ist im Portugiesischen feminin, im Deutschen dagegen neutral. Um Interferenzfehler (Fehler, die durch einen Transfer von sprachlichen Strukturen einer Sprache auf die Zielsprache resultieren) dieser Art zu umgehen, ist eine Sensibiliserung der Lernenden hinsichtlich der unterschiedlichen Sprachsysteme anzuraten.
Didaktik und Grammatikvermittlung
Gerade im Anfängerunterricht treffen die Lernenden auf neue Wörter und Substantive, deren Genera nicht auf bestimmte Regeln zurückzuführen sind. Es empfiehlt sich, die neuen Substantive zusammen mit dem Artikel zu lernen. Im Unterricht sollten die Deutschlernenden explizit darauf hingewiesen werden, dass jedes Substantiv zusammen mit dem Artikel gelernt werden muss.
Wie können sich Deutschlernende das Genus der Substantive merken?
Lerntipps:
In den meisten Lehrwerken werden den drei Genera Farben zugeordnet, was die Behaltensleistung der Lernenden unterstützen soll. Dabei werden die Artikel farblich hervorgehoben, da an ihnen das Genus markiert ist. Der maskuline Artikel ist blau, der neutrale Artikel grün und der feminine Artikel rot hervorgehoben:
Beispiel: Farbliche Kennzeichnung des Genus
der Stuhl, das Fenster, die Tür
In den meisten Lehrwerken finden Sie Tabellen, um den neuen Wortschatz aufzuschreiben. Diese helfen den Lernenden in erster Linie dabei, die neuen Wörter dem Genus entsprechend zu systematisieren. In diesem Aufgabentyp werden die Artikel meist ebenfalls hervorgehoben, damit die Lernenden sich das Genus über die farbliche Kodierung einprägen.
Beispiel: Systematisierung am Beispiel von Gegenständen im Klassenzimmer
der | das | die |
der Stuhl | das Buch | die Tafel |
der Tisch | das Heft | die Tür |
der Kugelschreiber | das Mäppchen | die Kreide |
der Rucksack | das Handy | die Tasche |
Regeln zur Genuszuweisung
Die Genuszuweisung ist jedoch nicht nur reine Willkür. Für zwei Drittel aller Substantive des Grundwortschatzes können Regeln für die Genuszuweisung aufgestellt werden (vgl. Wegener 1995: 3). Im Folgenden zeigen wir einige Regeln, anhand derer Rückschlüsse auf ein bestimmtes Genus gemacht werden können. Hier geht es zur PDF-Datei.
Wahl des Genus nach dem natürlichen Geschlecht der Substantive
Wenn Sie sich die Wortpaare der Mann – die Frau, der Vater – die Mutter, der Sohn – die Tochter ansehen, wird deutlich, dass männliche Personen ein maskulines Genus und weibliche Personen ein feminines Genus haben. In diesen Fällen richtet sich das grammatische Geschlecht (Genus) nach dem biologischen bzw. natürlichen Geschlecht (Sexus). Bei Personenbezeichnungen hängt die Wahl des Genus also von dem natürlichen Geschlecht ab. Dieses Phänomen ist auch bei den Tierbezeichnungen anzutreffen, was die Wortpaare der Kater – die Katze oder der Hengst – die Stute verdeutlichen.
Wahl des Genus nach semantischen Kriterien
Darüber hinaus gibt es Substantive, die einem bestimmten Wortfeld (z.B. dem Wortfeld “Jahreszeiten”) zugeordnet werden können und innerhalb dieser Gruppe im Genus übereinstimmen (der Frühling, der Sommer, der Herbst, der Winter).
– maskuline Substantive –
Wortfeld | Beispiele |
Alkoholische Getränke | der Gin, der Rum, der Tequila, der Wein, der Whiskey, der Wodka |
Automarken | der Audi, der BMW, der Citroën, der Honda, der Mercedes, der Porsche, der Chevrolet, der Volkswagen |
Berge | der Himalaya, der Mont Blanc, der Mount Everest, der Kilimandscharo (aber: die Zugspitze) |
Himmelsrichtungen | der Norden, der Osten, der Süden, der Westen |
Tage | der Montag, der Dienstag, der Mittwoch, der Donnerstag, der Freitag, der Samstag, der Sonntag |
Tageszeiten | der Morgen, der Mittag, der Nachmittag, der Abend (aber: die Nacht) |
Monate | der Januar, der Februar, der März, der April, der Mai, der Juni, der Juli, der August, der September, der Oktober, der November, der Dezember |
Jahreszeiten | der Frühling, der Sommer, der Herbst, der Winter |
Wetterverhältnisse | der Regen, der Wind, der Sturm, der Hagel, der Schnee, der Frost, der Tornado, der Blitz, der Donner, der Nebel, der Tau, der Regenbogen (aber: die Wolke) |
– neutrale Substantive –
Wortfeld | Beispiele |
Metalle | das Aluminium, das Eisen, das Gold, das Kupfer, das Silber |
substantivierte Farben | das Blau, das Rot |
– feminine Substantive –
Wortfeld | Beispiele |
Blumen | die Orchidee, die Primel, die Rose, die Tulpe |
Obst | die Banane, die Birne, die Feige, die Kiwi, die Mango, die Nektarine, die Zitrone (aber: der Apfel, der Pfirsich) |
Motorradmarken | die Yamaha, die Vespa |
Wahl des Genus nach morphologischen Kriterien
Sehr viele Substantive lassen aufgrund ihrer morphologischen Form Rückschlüsse auf ihr Genus zu. Diese Regeln sind eine zuverlässige Lernhilfe für Deutschlernende. In der folgenden Tabelle sehen Substantive, die anhand ihrer Suffixe einem bestimmten Genus zugeordnet werden können.
– maskuline Substantive –
Suffix | Beispiele |
-and -ant -ent | der Doktorand, der Proband der Informant, der Praktikant der Dirigent, der Student |
-eur | der Ingenieur, der Regisseur |
-er | der Lehrer, der Keller |
-et | der Planet, der Prophet |
-ismus | der Terrorismus, der Realismus |
-ist | der Journalist, der Polizist |
-ler | der Kanzler, der DaFler |
-ling | der Frühling, der Prüfling |
-or | der Professor, der Sensor |
– neutrale Substantive –
Suffix | Beispiele |
-chen | das Häuschen, das Mädchen |
-ing | das Styling, das Voting |
-lein | das Fräulein, das Männlein |
-ment | das Dokument, das Instrument |
-nis | das Ergebnis, das Zeugnis |
-tum | das Eigentum, das Wachstum |
-um | das Museum, das Studium |
– feminine Substantive –
Suffix | Beispiele |
-age | die Garage, die Reportage |
-e | die Lampe, die Suppe |
-ei | die Bäckerei, die Malerei |
-heit | die Freiheit, die Schönheit |
-ie | die Industrie, die Sympathie |
-ik | die Dramatik, die Thematik |
-in | die Dozentin, die Studentin |
-ine | die Ruine, die Vitrine |
-ion | die Direktion, die Situation |
-ität | die Realität, die Universität |
-keit | die Möglichkeit, die Zweisamkeit |
-schaft | die Freundschaft, die Mannschaft |
-ung | die Kleidung, die Zeitung |
-ur | die Kultur, die Natur |
Ein kurzer Ausflug in die wissenschaftliche Forschung zum Genus
Im Deutschen gibt es drei Genera, nämlich Maskulinum, Femininum und Neutrum. Die Genera werden im Nominalbereich u. a. durch die bestimmten Artikel der, die und das markiert.[1] Eine Unterscheidung, die nur im Singular sichtbar wird, nicht jedoch im Plural, da sich mit den Worten Chans (2005: 35), die Genusunterscheidung im Plural neutralisiere. Im Singular bilden wir die Determinalphrasen der Mann, die Frau, das Kind, wohingegen wir im Plural die Männer, die Frauen, die Kinder konsturieren.[2] Ob hinter der Vergabe eines maskulinen, femininen oder neutralen Genus eine Regelhaftigkeit ausgemacht werden kann, wurde in der linguistischen Forschung stark angezweifelt, weshalb die Vermutung gemacht wurde, es handle sich bei der Genuszuweisung lediglich um einen arbiträren Prozess (vgl. u.a. Köpcke 1996; 2009).
Neben Köpcke (u.a. 1996, 2009) zweifelt auch Wegener (1995) an der Arbitraritätshypothese. In ihrem Aufsatz zum Genus im DaZ-Erwerb weist sie darauf hin, dass für zwei Drittel aller Substantive des Grundwortschatzes, Regeln für die Genuszuweisung aufgestellt werden können, wodurch die Arbitraritätshypothese zu Recht angezweifelt werden kann (vgl. Wegener 1995: 3). Einige allgemeine Regularitäten, die in Bezug auf die Genuszuweisung, aufgestellt worden sind, formulieren Köpcke/Zubin (1996) in Ihrem Aufsatz über die Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen.
Im Folgenden möchten wir der Reihe nach, zunächst phonologische, anschließend morphologische und abschließend semantische Regeln besprechen, die bestimmte Genera weitgehend vorhersagbar machen.
Phonologische Regeln
Die lautliche Abfolge von Wörtern gibt einer Sprache nicht nur seine eigene Note, die sie von anderen Sprachen abgrenzt, sondern kann je nach Konstellation der Phonemabfolge entscheidend für die Genusselektion sein.
Laut Köpcke (1996) gibt die Konsonantenanzahl in Onset oder in der Koda Aufschluss darüber, welches Genus mit höherer Wahrscheinlichkeit nach zugewiesen wird. Köpcke verweist auf das sog. Konsonantenprinzip und fügt hinzu, „daß mit steigender Konsonantennzahl im Onset und in der Koda eines monosyllabischen Nomens die Tendenz einer maskulinen Genuszuweisung zunimmt“ (1996: 476). Ein ausgeprägtes Konsonantencluster, wie es im Falle der Wörter Streik, mit drei Konsonantenphonemen (ʃ t ʀ) im Onset, und Scherz (ʀ t s), mit drei Konsonantenphonemen in der Koda zutrifft, ist ein Indiz dafür, dass den Wörter höchstwahrscheinlich ein maskulines Genus zugewiesen wird. Als Ausnahme sei auf das Lexem Straße hingewiesen, welches trotz drei Konsonanten im Anlaut feminines Genus selegiert.
Neben diesem allgemeinen Prinzip, das anhand der Konsonantenhäufigkeit in An- und Auslaut auf ein bestimmtes Genus referiert, stellt Köpcke vier phonologische Prinzipien vor, die bestimmte Phonemabfolgen offenlegen, die als Indiz für eine bestimmte Genusselektion monosyllabischer Nomina herangezogen werden können. Nach Köpcke (1996) gelten vier phonologische Regeln:
(1) phonologische Regeln zur Genuszuweisung (nach Köpcke 1996: 477)
(a) [kn_#] -> Mask.
z.B. Knauf
(b) [š + K_#] -> Mask.
z.B. Stock, Stiel, Stamm
(c) [#_Nasal (m, n, ŋ) + K] -> Mask.
z.B. Zimt, Tank, Gang
(d) [#_ (K) + Frikativ (f, ҫ, x) + t] -> Fem.
z.B. Frucht, Luft, Schicht
Die geschilderten phonologischen Regeln sind lediglich Hilfsmittel, nach denen ein bestimmtes Genus mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird. Überdies ist die Trefferquote bei Genuszuweisungen, die sich am Konsonantenhäufungsprinzip orientieren, bei den Auslautprinzipien (c) und (d) am höchsten (vgl. dazu Köpcke 1996).
Die herausgearbeiteten Prinzipien treffen jedoch augenscheinlich nur auf einsilbige Wörter zu und sind somit auf einen bestimmten phonologischen Kontext beschränkt. Für mehrsilbige Wörter gelten meist die lautlichen Gegebenheiten in der Koda der letzten Silbe (vgl. Köpcke 2009, Wegener 1995). Die Substantive Lampe, Strecke, Hülse haben nicht nur ihre mehrsilbrige Struktur gemeinsam, sondern auch ihr feminines Genus. Darüber hinaus zeichnen sich die Substantive dadurch aus, dass sie auf -e in der finalen Silbe auslauten. Tatsächlich, gemessen am (Grund-)wortschatz (vgl. Köpcke 2009, Wegener 1995), sind Substantive, die auf -e auslauten, auch meistens Feminina. Für Nomen, die auf -el, -en, -er auslauten, stellt Wegener 1995 klar, dass diese in überwiegender Zahl maskulin sind.
Die Beispiele der Maskulina der Wandel, der Boden, der Eimer sollen diese Behauptung unterstreichen. Zum Pseudosuffix –en fügt Köpcke (2009: 137) hinzu, dass dieses nicht feminin sein kann. Überdies befasst sich Köpcke (2009) auch mit Substantiven, die auf die unbetonten Vokale –a, -o und –u auslauten und macht darauf aufmerksam, dass diese jeweils ein bestimmtes Genus präferieren. Nach Köpcke (2009: 137) sind Substantive, die auf –a auslauten (z.B. Villa) feminin, Substantiv, die auf –o auslauten entweder Maskulin (z.B. Dynamo) oder neutral (z.B. Solo) und Substantive, die auf –u auslauten (z.B. Uhu) maskulin.
Morphologische Regeln
Auch die interne Struktur eines Wortes zeigt Muster auf, durch die morphologische Regeln für die Genuszuweisung abgeleitet werden können.
Von besonderem Interesse sind dabei die Affixe, da bestimmte Affixe ein bestimmtes Genus indizieren können. So weisen die Suffixe –ung wie in die Zeitung, -heit/-keit wie in die Freiheit/Dankbarkeit auf eine feminines, -ling wie in der Säugling auf ein maskulines und –tum wie in das Altertum auf ein neutrales Genus hin.[3] Überdies erkennen wir das Genus an Substantiven zuverlässig durch die Suffixe –in für Feminina wie in Professorin, –er für Maskulina wie in Lehrer oder –chen wie in das Mädchen (vgl. Chun 2005: 36).
Wohingegen bei den ersten beiden genannten Suffixen bereits durch das biologische Geschlecht auf das grammatische geschlossen werden kann, ist dies bei dem Suffix –chen nicht der Fall. Ein Mädchen müsste nach biologischem Geschlecht dem grammatischen Geschlecht des Femininums zugeordnet werden. Wir sehen hier, dass das Suffix –chen ganz klar eine genusdeterminierende Funktion einnimmt, siehe u.a. Bildungen wie etwa die Diminutiva Hündchen oder Kätzchen, die beide aufgrund des Suffixes zu Neutra werden (man denke an das Maskulinum der Hund und das Femininum die Katze).[4]
Ferner fungiert auch das Zirkumfix als Orientierungshilfe bei der Genuszuweisung. Das Zirkumfix ge-.-e wie in das Gehäuse verweist deutlich auf ein neutrales Genus (vgl. Köpcke 1996).
Präfixe hingegen können nach Chan (2005) nicht herangezogen werden, wenn es darum geht, das Genus zu bestimmen. Bezüglich der Derivationssuffixe merkt Köpcke das sogenannte „Letztgliedprinzip“ (2009: 139), nachdem das letzte Glied bzw. Morphem für die Genusdetermination ausschlaggebend ist. Chan (2005) verweist darauf, dass das Letztgliedprinzip auch bei Komposita Gültigkeit zeigt, da das Genus eines Kompositums wie Wortart nach dem letzten Glied bzw. Morphem, hier Art, bestimmt wird. Das Kompositum Wortart ist demnach feminin.
Semantische Regeln
Wie wir bei den phonologischen Regeln gesehen haben, sprechen bestimmte Phonemabfolgen für ein bestimmtes Genus. Gleiches gilt für bestimmte Endungen, wie etwa Wörter, die auf ein Schwa auslauten. So sind die Wörter Zunge, Menge, Wanne, Reise allesamt feminin. Abweichungen von dieser Hypothese, die mit den Wörtern Junge, Hirte, Nomade belegt werden können, können wiederum anhand semantischer Prinzipien erklärt werden.
Die genannten Wörter werden trotz des auslautenden Schwa-Lautes nicht mit femininem Genus verwendet. In Übereinstimmung mit dem natürlichen Geschlechts wird für Junge, Hirte und Nomade maskulines Genus zugeordnet. Chan (2005: 40) spricht in diesem Zusammenhang vom natürlichen Geschlechtsprinzip, nachdem „ein Substantiv nach dem biologischen Geschlecht seines Referenten der entsprechenden grammatischen Klasse zugeordnet werde“ (vgl. Chan 2005: 41)[5] In diesem konkreten Fall, der Genusselektion aufgrund semantischer Kriterien, können wir festhalten, dass den semantischen Regeln mehr Gewicht zukommt, als den phonologischen.
Fassen wir beide Regeln zusammen, könnten wir behaupten, dass alle Wörter, die das Merkmal [-belebt] tragen und auf Schwa auslauten, feminin sind. Auf diese Komplikationen, die sich bei der Genuszuweisung durch falsche Assoziationen phonologischer oder semantischer Art ergeben können, weist bereits Köpcke hin. Köpcke (1996) zeigt, dass von einer bestimmten Endung nicht auf ein bestimmtes Genus geschlossen werden kann, genauso wenig wie von einer semantischen Gruppenzugehörigkeit auf ein bestimmtes Genus geschlossen werden kann. So führt Köpcke (1996) Nomina an, die auf den unbetonten Vokal /i/ auslauten und veranschaulicht, dass trotz der gleichen Wortendung unterschiedliche Genera verwendet werden. Allerdings hilft die Einteilung in semantische Felder bei der Beurteilung der Genusselektion ungemein wie die nachfolgenden semantischen Prinzipien für die Genuszuweisung zeigen.
(2) Semantische Prinzipien für die Genuszuweisung (nach Köpcke 1996: 479f.)
(a) Prinzip des natürlichen Geschlechts -> m/f
z.B. Bubi, Mutti, Omi
(b) Bezeichnungen für alkoholische Getränke -> m
z.B. Martini, Chianti
(c) Bezeichnungen für chemische Grundstoffe und Substanzen -> n
z.B. Kali, Alkali
(d) Bezeichnungen für Spiele -> n
z.B. Hobby, Derby, Hockey
(e) Bezeichnungen für kalendarische Aufgaben -> m
z.B. Juni, Juli
(f) Bezeichnungen für Farben -> n
z.B. Khaki, Uni
(g) Bezeichnungen für Früchte -> f
z.B. Kiwi, Peperoni
(h) Bezeichnungen für Sprachen -> n
z.B. Pali, Maori, Hindi
Im Gegenzug verweist Köpcke (1996) auch auf den umgekehrten Fall, nämlich auf Nomina, die einem gemeinsamen semantischen Feld angehören, aber unterschiedliche Genera aufweisen.
Als Beispiel nennt Köpcke (1996) Nomina, die dem semantischen Feld der „Körperteilbezeichnungen“ angehören und führt z.B. die Maskulina Finger, Mund, Zahn, die Feminina Nase, Hand, Stirn und Neutra Haar, Kinn und Ohr an. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass Chan (2005) wie auch Köpcke (1996) dem natürlichen Geschlechtsprinzip einen großen Stellenwert anerkennen. Die dargestellte Einteilung in semantische Felder, wie sie Köpcke (1996) vorstellte, wird auch von Chan (2005) aufgegriffen und als semantisches Klassenprinzip bezeichnet. Überdies greift Chan (2005) weitere semantische Regeln auf, worunter das generische Geschlechtsprinzip gehört, demzufolge „Personenbezeichnungen […] maskulin [sind], wenn sie nicht sexusmarkiert sind.“ (Chan 2005: 43)
Zusätzlich spricht Chan (2005) das Leitwortprinzip an, demzufolge „ein Substantiv dem Genus eines assoziativ verbundenen Substantivs zuzuordnen ist.“ (Chan 2005: 46) Als Beispiele führt Chan (2005: 46) z.B. das Leitwort der Tanz an, dessen Genus auf die assoziativ verbundenen, subordinierten Tanzstile der Foxtrott oder der Lambada transferiert würde. Ein weiteres Beispiel nach Chan (2005) ist das Leitwort das Waschmittel mit den untergeordneten Begriffen das Persil und das Tandil.
Wir können zusammenfassen festhalten, dass die Genuszuweisung unter semantischer Betrachtung durch die folgenden vier Regeln beschrieben werden kann: Das natürliche Geschlechtsprinzip, das semantische Klassenprinzip, das generische Genusprinzip und das Leitwortprinzip(vgl. Chan 2005).
Inwiefern hinter Genuszuweisungen tatsächlich Regeln formuliert werden können, machen wir uns im nächsten Abschnitt zur Aufgabe. Wir versuchen anhand eines Modells zur Genusselektion, den Prozess der Übernahme der Entlehnung im Hinblick auf den Transfer und die Zuteilung eines Genus zu dokumentieren.
[1] Neben dem Artikel sind auch Pronomen und Adjektive für die Genusmarkierung zuständig (vgl. Chan 2005: 36).
[2] Beispiele aus Chan 2005: 35.
[3] Die Ableitungssuffixe –ung und –heit sind Angaben Wegeners (1995) zu Folge höchst verlässliche Orientierungshilfen für die Genusselektion im DaZ-Erwerb, weshalb wir uns mit 100%iger Sicherheit darauf verlassen können, dass bei Wortbildungen mit den Derivationssuffixen –ung und –heit ein feminines Genus involviert ist.
[4] Für eine umfangreiche Darstellung der Ableitungssuffixe im Deutschen sei auf Chan 2005: 52-54) verwiesen.
[5] Nach Chan (2005: 41) ist „das natürliche Geschlechtsprinzip […] vermutlich die wichtigste semantische Zuweisungsregel im Deutschen.“
verwendete Literatur:
Chan, Sze-Mun. (2005): Genusintegration: Eine systematische Untersuchung zur Genuszuweisung englischer Entlehnungen in der deutschen Sprache. München: Iudicium.
Köpcke, Klaus-Michael/ Zubin, David A. (2009): Genus. In: Elke Hentschel/Petra M. Vogel (Hrsg.): Deutsche Morphologie. Berlin: de Gruyter. 132-154.
Köpcke, Klaus-Michael/ Zubin, David A. (1996): Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen. In: Ewald Lang und Gisela Zifonun (Hrsg.): Deutsch typologisch. Jahrbuch des Instituts für Deutsche Sprache 1995. Berlin: de Gruyter, 473–491.
Wegener, Heide (1995) Das Genus im DaZ-Erwerb. Beobachtungen an Kindern aus Polen, Rußland und der Türkei. In: Handwerker, B. (Hg.) Fremde Sprache Deutsch. Tübingen: Narr, 1-24.