Im Deutschen gibt es im Gegensatz zu dem Portugiesischen drei Genera, nämlich Maskulinum, Femininum und Neutrum. Die Genera werden im Nominalbereich u.a. durch die bestimmten Artikel der, die und das markiert.[1] Eine Unterscheidung, die nur im Singular sichtbar wird, nicht jedoch im Plural, da sich mit den Worten Chans (2005: 35), die Genusunterscheidung im Plural neutralisiere. Im Singular bilden wir die Determinalphrasen der Mann, die Frau, das Kind, wohingegen wir im Plural die Männer, die Frauen, die Kinder konsturieren.[2] Ob hinter der Vergabe eines maskulinen, femininen oder neutralen Genus eine Regelhaftigkeit ausgemacht werden kann, wurde in der linguistischen Forschung stark angezweifelt, weshalb die Vermutung gemacht wurde, es handle sich bei der Genuszuweisung lediglich um einen arbiträren Prozess (vgl. u.a. Köpcke 1996; 2009). Neben Köpcke (u.a. 1996, 2009) zweifelt auch Wegener (1995) an der Arbitraritätshypothese. In ihrem Aufsatz zum Genus im DaZ-Erwerb weist sie darauf hin, dass für zwei Drittel aller Substantive des Grundwortschatzes, Regeln für die Genuszuweisung aufgestellt werden können, wodurch die Arbitraritätshypothese zu Recht angezweifelt werden kann (vgl. Wegener 1995: 3) Durch die Dreiteilung des deutschen Genussystems taucht im Hinblick auf eine Gegenüberstellung beider Genussysteme die Frage auf, warum die deutsche Sprache ein neutrales Genus benötigt, wohingegen das Portugiesische mit lediglich zwei Genera auszukommen scheint. Was passiert etwa in Sprachkontaktsituation, wenn einem bestimmten Wort, das aus der anderen Sprache entlehnt wird, ein Genus zugewiesen werden soll? Dieser Frage möchten wir am Beispiel des deutsch-portugiesischen Sprachkontakts in Brasilien nachgehen. Bezüglich der Genuszuweisung im deutsch-portugiesischen Sprachkontakt wird deshalb interessant zu beobachten sein, ob Entlehnungen aus dem Portugiesischen neutrales Genus zugewiesen wird und welche semantischen, phonologischen oder morphologischen Kriterien zugrunde gelegt werden können. Einige allgemeine Regularitäten, die in Bezug auf die Genuszuweisung, aufgestellt worden sind, formulieren Köpcke/Zubin (1996) in Ihrem Aufsatz über die Prinzipien für die Genuszuweisung im Deutschen. Im Folgenden möchten wir der Reihe nach, zunächst phonologische, anschließend morphologische und abschließend semantische Regeln besprechen, die bestimmte Genera weitgehend vorhersagbar machen.
[1] Neben dem Artikel sind auch Pronomen und Adjektive für die Genusmarkierung zuständig (vgl. Chan 2005: 36).
[2] Beispiele aus Chan 2005: 35.
Phonologische Regeln
Die lautliche Abfolge von Wörtern gibt einer Sprache nicht nur seine eigene Note, die sie von anderen Sprachen abgrenzt, sondern kann je nach Konstellation der Phonemabfolge entscheidend für die Genusselektion sein. Laut Köpcke (1996) gibt die Konsonantenanzahl in Onset oder in der Koda Aufschluss darüber, welches Genus mit höherer Wahrscheinlichkeit nach zugewiesen wird. Köpcke verweist auf das sog. Konsonantenprinzip und fügt hinzu, „daß mit steigender Konsonantennzahl im Onset und in der Koda eines monosyllabischen Nomens die Tendenz einer maskulinen Genuszuweisung zunimmt“ (1996: 476). Ein ausgeprägtes Konsonantencluster, wie es im Falle der Wörter Streik, mit drei Konsonantenphonemen (ʃ t ʀ) im Onset, und Scherz (ʀ t s), mit drei Konsonantenphonemen in der Koda zutrifft, ist ein Indiz dafür, dass den Wörter höchstwahrscheinlich ein maskulines Genus zugewiesen wird. Als Ausnahme sei auf das Lexem Straße hingewiesen, welches trotz drei Konsonanten im Anlaut feminines Genus selegiert.
Neben diesem allgemeinen Prinzip, das anhand der Konsonantenhäufigkeit in An- und Auslaut auf ein bestimmtes Genus referiert, stellt Köpcke vier phonologische Prinzipien vor, die bestimmte Phonemabfolgen offenlegen, die als Indiz für eine bestimmte Genusselektion monosyllabischer Nomina herangezogen werden können. Nach Köpcke (1996) gelten vier phonologische Regeln:
(2) phonologische Regeln zur Genuszuweisung (nach Köpcke 1996: 477)
(a) [kn_#] -> Mask.
z.B. Knauf
(b) [š + K_#] -> Mask.
z.B. Stock, Stiel, Stamm
(c) [#_Nasal (m, n, ŋ) + K] -> Mask.
z.B. Zimt, Tank, Gang
(d) [#_ (K) + Frikativ (f, ҫ, x) + t] -> Fem.
z.B. Frucht, Luft, Schicht
Die geschilderten phonologischen Regeln sind lediglich Hilfsmittel, nach denen ein bestimmtes Genus mit hoher Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird. Überdies ist die Trefferquote bei Genuszuweisungen, die sich am Konsonantenhäufungsprinzip orientieren, bei den Auslautprinzipien (c) und (d) am höchsten (vgl. dazu Köpcke 1996). Die herausgearbeiteten Prinzipien treffen jedoch augenscheinlich nur auf einsilbige Wörter auf und sind somit auf einen bestimmten phonologischen Kontext beschränkt. Für mehrsilbige Wörter gelten meist die lautlichen Gegebenheiten in der Koda der letzten Silbe (vgl. Köpcke 2009, Wegener 1995). Die Substantive Lampe, Strecke, Hülse haben nicht nur ihre mehrsilbrige Struktur gemeinsam, sondern auch ihr feminines Genus. Darüber hinaus zeichnen sich die Substantive dadurch aus, dass sie auf -e in der finalen Silbe auslauten. Tatsächlich, gemessen am (Grund-)wortschatz (vgl. Köpcke 2009, Wegener 1995), sind Substantive, die auf -e auslauten, auch meistens Feminina. Für Nomen, die auf -el, -en, -er auslauten, stellt Wegener 1995 klar, dass diese in überwiegender Zahl maskulin sind. Die Beispiele der Maskulina der Wandel, der Boden, der Eimer sollen diese Behauptung unterstreichen. Zum Pseudosuffix –en fügt Köpcke (2009: 137) hinzu, dass dieses nicht feminin sein kann. Überdies befasst sich Köpcke (2009) auch mit Substantiven, die auf die unbetonten Vokale –a, -o und –u auslauten und macht darauf aufmerksam, dass diese jeweils ein bestimmtes Genus präferieren. Nach Köpcke (2009: 137) sind Substantive, die auf –a auslauten (z.B. Villa) feminin, Substantiv, die auf –o auslauten entweder Maskulin (z.B. Dynamo) oder neutral (z.B. Solo) und Substantive, die auf –u auslauten (z.B. Uhu) maskulin.
Morphologische Regeln
Ach die interne Struktur eines Wortes zeigt Muster auf, durch die morphologische Regeln für die Genuszuweisung abgeleitet werden können. Von besonderem Interesse sind dabei die Affixe, da bestimmte Affixe ein bestimmtes Genus indizieren können. So weisen die Suffixe –ung wie in die Zeitung, -heit/-keit wie in die Freiheit/Dankbarkeit auf eine feminines, -ling wie in der Säugling auf ein maskulines und –tum wie in das Altertum auf ein neutrales Genus hin.[1] Überdies erkennen wir das Genus an Substantiven zuverlässig durch die Suffixe –in für Feminina wie in Professorin, –er für Maskulina wie in Lehrer oder –chen wie in das Mädchen (vgl. Chun 2005: 36). Wohingegen bei den ersten beiden genannten Suffixen bereits durch das biologische Geschlecht auf das grammatische geschlossen werden kann, ist dies bei dem Suffix –chen nicht der Fall. Ein Mädchen müsste nach biologischem Geschlecht dem grammatischen Geschlecht des Femininums zugeordnet werden. Wir sehen hier, dass das Suffix –chen ganz klar eine genusdeterminierende Funktion einnimmt, siehe u.a. Bildungen wie etwa die Diminutiva Hündchen oder Kätzchen, die beide aufgrund des Suffixes zu Neutra werden (man denke an das Maskulinum der Hund und das Femininum die Katze).[2] Ferner fungiert auch das Zirkumfix als Orientierungshilfe bei der Genuszuweisung. Das Zirkumfix ge-.-e wie in das Gehäuse verweist deutlich auf ein neutrales Genus (vgl. Köpcke 1996). Präfixe hingegen können nach Chan (2005) nicht herangezogen werden, wenn es darum geht, das Genus zu bestimmen. Bezüglich der Derivationssuffixe merkt Köpcke das sogenannte „Letztgliedprinzip“ (2009: 139), nachdem das letzte Glied bzw. Morphem für die Genusdetermination ausschlaggebend ist. Chan (2005) verweist darauf, dass das Letztgliedprinzip auch bei Komposita Gültigkeit zeigt, da das Genus eines Kompositums wie Wortart nach dem letzten Glied bzw. Morphem, hier Art, bestimmt wird. Das Kompositum Wortart ist demnach feminin.
[1] Die Ableitungssuffixe –ung und –heit sind Angaben Wegeners (1995) zu Folge höchst verlässliche Orientierungshilfen für die Genusselektion im DaZ-Erwerb. Wir können uns mit 100%iger Sicherheit darauf verlassen, dass bei Wortbildungen mit den Derivationssuffixen –ung und –heit ein feminines Genus involviert ist.
[2] Für eine umfangreiche Darstellung der Ableitungssuffixe im Deutschen sei auf Chan 2005: 52-54) verwiesen.
Semantische Regeln
Wie wir bei den phonologischen Regeln gesehen haben, sprechen bestimmte Phonemabfolgen für ein bestimmtes Genus. Gleiches gilt für bestimmte Endungen, wie etwa Wörter, die auf ein Schwa auslauten. So sind die Wörter Zunge, Menge, Wanne, Reise allesamt feminin. Abweichungen von dieser Hypothese, die mit den Wörtern Junge, Hirte, Nomade belegt werden können, können wiederum anhand semantischer Prinzipien erklärt werden. Die genannten Wörter werden trotz des auslautenden Schwa-Lautes nicht mit femininem Genus verwendet. In Übereinstimmung mit dem natürlichen Geschlechts wird für Junge, Hirte und Nomade maskulines Genus zugeordnet. Chan (2005: 40) spricht in diesem Zusammenhang vom natürlichen Geschlechtsprinzip, nachdem „ein Substantiv nach dem biologischen Geschlecht seines Referenten der entsprechenden grammatischen Klasse zugeordnet werde“ (vgl. Chan 2005: 41)[1] In diesem konkreten Fall, der Genusselektion aufgrund semantischer Kriterien, können wir festhalten, dass den semantischen Regeln mehr Gewicht zukommt, als den phonologischen. Fassen wir beide Regeln zusammen, könnten wir behaupten, dass alle Wörter, die das Merkmal [-belebt] tragen und auf Schwa auslauten, feminin sind. Auf diese Komplikationen, die sich bei der Genuszuweisung durch falsche Assoziationen phonologischer oder semantischer Art ergeben können, weist bereits Köpcke hin. Köpcke (1996) zeigt, dass von einer bestimmten Endung nicht auf ein bestimmtes Genus geschlossen werden kann, genauso wenig wie von einer semantischen Gruppenzugehörigkeit auf ein bestimmtes Genus geschlossen werden kann. So führt Köpcke (1996) Nomina an, die auf den unbetonten Vokal /i/ auslauten und veranschaulicht, dass trotz der gleichen Wortendung unterschiedliche Genera verwendet werden. Allerdings hilft die Einteilung in semantische Felder bei der Beurteilung der Genusselektion ungemein wie die nachfolgenden semantischen Prinzipien für die Genuszuweisung zeigen.
(3) Semantische Prinzipien für die Genuszuweisung (nach Köpcke 1996: 479f.)
(a) Prinzip des natürlichen Geschlechts -> m/f
z.B. Bubi, Mutti, Omi
(b) Bezeichnungen für alkoholische Getränke -> m
z.B. Martini, Chianti
(c) Bezeichnungen für chemische Grundstoffe und Substanzen -> n
z.B. Kali, Alkali
(d) Bezeichnungen für Spiele -> n
z.B. Hobby, Derby, Hockey
(e) Bezeichnungen für kalendarische Aufgaben -> m
z.B. Juni, Juli
(f) Bezeichnungen für Farben -> n
z.B. Khaki, Uni
(g) Bezeichnungen für Früchte -> f
z.B. Kiwi, Peperoni
(h) Bezeichnungen für Sprachen -> n
z.B. Pali, Maori, Hindi
Im Gegenzug verweist Köpcke (1996) auch auf den umgekehrten Fall, nämlich auf Nomina, die einem gemeinsamen semantischen Feld angehören, aber unterschiedliche Genera aufweisen. Als Beispiel nennt Köpcke (1996) Nomina, die dem semantischen Feld der „Körperteilbezeichnungen“ angehören und führt z.B. die Maskulina Finger, Mund, Zahn, die Feminina Nase, Hand, Stirn und Neutra Haar, Kinn und Ohr an. Wir können an dieser Stelle festhalten, dass Chan (2005) wie auch Köpcke (1996) dem natürlichen Geschlechtsprinzip einen großen Stellenwert anerkennen. Die dargestellte Einteilung in semantische Felder, wie sie Köpcke (1996) vorstellte, wird auch von Chan (2005) aufgegriffen und als semantisches Klassenprinzip bezeichnet. Überdies greift Chan (2005) weitere semantische Regeln auf, worunter das generische Geschlechtsprinzip gehört, demzufolge „Personenbezeichnungen […] maskulin [sind], wenn sie nicht sexusmarkiert sind.“ (Chan 2005: 43) Zusätzlich spricht Chan (2005) das Leitwortprinzip an, demzufolge „ein Substantiv dem Genus eines assoziativ verbundenen Substantivs zuzuordnen ist.“ (Chan 2005: 46) Als Beispiele führt Chan (2005: 46) z.B. das Leitwort der Tanz an, dessen Genus auf die assoziativ verbundenen, subordinierten Tanzstile der Foxtrott oder der Lambada transferiert würde. Ein weiteres Beispiel nach Chan (2005) ist das Leitwort das Waschmittel mit den untergeordneten Begriffen das Persil und das Tandil. Wir können zusammenfassen festhalten, dass die Genuszuweisung unter semantischer Betrachtung durch die folgenden vier Regeln beschrieben werden kann. Das natürliche Geschlechtsprinzip, das semantische Klassenprinzip, das generische Genusprinzip und das Leitwortprinzip (vgl. Chan 2005).
Inwiefern hinter Genuszuweisungen tatsächlich Regeln formuliert werden können, machen wir uns im nächsten Abschnitt zur Aufgabe. Wir versuchen anhand eines Modells zur Genusselektion, den Prozess der Übernahme der Entlehnung im Hinblick auf den Transfer und die Zuteilung eines Genus zu dokumentieren.
[1] Nach Chan (2005: 41) ist „das natürliche Geschlechtsprinzip […] vermutlich die wichtigste semantische Zuweisungsregel im Deutschen.“